Verantwortung übernehmen bleibt oft ein Lippenbekenntnis

Dieser Tage ist die Verantwortung scheinbar wieder modern geworden. Denn seit Beginn der Corona Pandemie werden wir von allen Seiten und immer wieder daran erinnert, dass wir die Verantwortung für die Gesundheit unserer Mitmenschen, für die Aufrechterhaltung unseres Gesundheitssystems und damit sogar für das Wohlergehen mindestens einer ganzen Nation tragen. Wenn wir die Verantwortung übernehmen – dann geht es allen gut?!

Uns fehlt das richtige Verständnis von Verantwortung, denn so schön sich das anhören mag, genau das ist einer der Gründe, warum Verantwortung tatsächlich meist ein Lippenbekenntnis bleibt. Verantwortung zu übernehmen ist ein durchweg nützlicher und sinnvoller Prozess, doch in unserer Gesellschaft negativ behaftet und mit einer bleiernen Schwere umgeben, weil sie erstens stets mit Pflichten, Zwängen und Disziplin verbunden wird, die zweitens bei Nichteinhaltung auch noch mit negativen Konsequenzen verbunden sind. So kommt es statt Verständnis zu Vorwürfen und Rechtfertigungen als Reaktionen, aber auch zu Zweifeln an Kompetenzen und damit verbundenen Selbstzweifeln und Selbstvorwürfen, die wiederum das Selbstbewusstsein des Betroffenen angreifen.

Der Begriff Verantwortung bietet keine positive Motivation und lädt uns nicht wirklich zur Lust und Freude ein. Er ruft eher die Angst in uns hervor, die Angst vor Fehlern, etwas falsch zu machen und dafür bestraft zu werden – ein uraltes Programm in unseren Köpfen, was eher zu Hemmungen führt. Das verbindet „Verantwortung übernehmen“ direkt mit einem negativen Glaubenssatz, wenn nicht sogar mit mehreren wenig hilfreichen Glaubenssätzen: Verantwortung macht Arbeit, kostet Zeit und manchmal sogar Geld. Und Kritik, denn wenn wir die Sachen nicht gut genug machen, dann gibt es auch noch einen drauf.

 

 

Wir übersehen dabei leider, dass die Verantwortung zu übernehmen, der eigentliche Schlüssel zum Erfolg und der Wegbereiter zum persönlichen Glück ist. Wir machen den großen Fehler Verantwortung zu negativ zu betrachten. Denn die Verantwortungsübernahme bedeutet, in dem Beispiel der Pandemie für die Gesundheit Ihrer Mitmenschen, den Erfolg der Gemeinschaft und damit auch das Glück für jeden einzelnen. Das gilt für absolut jeden Bereich innerhalb unserer planetarischen Gemeinschaft, für die Menschen fremder Kulturen und weit entfernter Kontinente genauso wie für die des eigenen Landes, für den Fremden ebenso wie für den Nachbarn. Doch es gilt eben auch für jedes andere Lebewesen unserer Erde und letztlich auch für die Erde selbst, für unsere Umwelt und Natur. Und es gilt allem voran für unser eigenes Leben.

Wir müssen die Verantwortung für unser Leben übernehmen

Es gibt vielleicht nur das eine. Wir haben die Verantwortung für unser persönliches Glück, für unsere Lebensumstände, unsere Erfolge und für unser Wohlergehen – wir haben die Verantwortung für unser Leben. Wir sind verantwortlich für unser Schicksal, für unseren Lebensweg und alles, was damit zusammenhängt. Wir tragen die Verantwortung für unsere Wünsche und Ziele, aber auch für unsere Probleme, Krisen und Herausforderungen.

Wir sind nicht für jedes Ergebnis verantwortlich, denn wir erschaffen und bestimmen bei weitem nicht alles, aber wir sind immer verantwortlich dafür, wie wir damit umgehen und was wir daraus machen. Verantwortung ist Selbstmanagement und Führung.

Sie haben viele Verantwortungsbereiche, Sie haben die Verantwortung für jede Alltagssituation, für Ihre Zeit, für Ihre Finanzen, für Ihr Geschäft, Ihren Beruf, Ihre Karriere und Arbeit, Sie sind verantwortlich für Ihre geistige Verfassung und Ihren körperlichen Zustand, aber auch für Ihre Gefühle. Sie verantworten das Befinden Ihrer Partnerschaft und anderer Beziehungen, sie sind aber auch verantwortlich für Ihre Emotionen, Ihren eigenen Spaß, Ihre Freude oder Ihr Lernen, Wachsen, Ihre Entwicklung und nicht zuletzt für Ihren Beitrag, den Sie auf dieser Welt leisten.

Hier begegnet mir häufig die Frage, was denn wichtiger sei, die eigenverantwortlich zu sein oder die Verantwortung im Außen zu übernehmen. In der heutigen Zeit der Selbstoptimierung und Egowelt meint man immer mehr, dass die Selbstverantwortung die Grundlage für die Verantwortung im Außen ist. Doch das ist keineswegs richtig, denn es handelt sich einfach um zwei Seiten derselben Medaille. Sie brauchen auch die Verantwortung anderer, in jungen Jahren zum Beispiel der Ihrer Eltern, um eine gute Lebensgrundlage zu schaffen. Genauso erhalten Sie wichtige Impulse für Ihr eigenes Leben durch Ihre ausgeübte Fremdverantwortung. Die Eigenverantwortung oder Selbstverantwortung ist also nur ein gleichberechtigter Bestandteil der Verantwortung, der durch die Verantwortung für andere und anderes komplettiert wird.

Verantwortung übernehmen verleiht Ihnen Macht

In unserer heutigen Gesellschaft wirkt diese Aufzählung für viele bereits erschlagend, sie fühlen sich damit bereits überfordert beim Lesen oder Zuhören. Doch auch dafür sind wir verantwortlich: Auszuhalten! Es muss eben nicht alles immer eitel Sonnenschein sein und wir dürfen auch mal ertragen, dass nicht alles Spaß und Freude bereitet. Es gelingt eben nicht alles im Leben und schon gar nicht auf Anhieb; denken Sie einfach daran, wie ein Kind laufen lernt. Es sind oft viele Versuche und eine Menge Übung erforderlich, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Oft müssen wir unsere Ängste überwinden und unsere Komfortzone verlassen, um etwas neues zu erreichen.

Das gilt es zu akzeptieren, ohne daran gleich emotional zu zerbrechen.  Wir brauchen Selbstvertrauen und das Vertrauen ins Leben. Wir müssen nicht alle Lebensbereiche gleichzeitig angehen. Wir können erst einmal damit anfangen unseren Geist zu beherrschen. Wir tragen die Verantwortung für unser Denken, für unsere Gedanken, für unsere mentale Stärke und damit können wir schon sehr viel erreichen.

Auch wenn die Motivation Schmerzen zu vermeiden, bei uns Menschen deutlich größer ist, so gibt es auch eine positive Kehrseite zu den Pflichten und Ängsten: die Möglichkeit. Wenn wir die Verantwortung übernehmen können, dann können wir auch Einfluss nehmen. Wir können, wie bereits erwähnt, nicht jede Situation bestimmen, aber wir haben die Macht Einfluss auf die Situationen zu nehmen. Die Übernahme der Verantwortung lässt uns die Resultate mitbestimmen.

Das ist keine Selbstverständlichkeit und ist das, was sich die meisten Menschen als größten Wert auf die Fahne geschrieben haben und wofür die Menschheit seit vielen Jahrhunderten auf die Straße geht: Freiheit. Es ist die Freiheit in Form der Selbstbestimmung. Sie verfügen über die Entscheidungsfähigkeit. Sie können selbst entscheiden und bestimmen, wie etwas sein soll, wie es ausgeht, wie es ist. Und damit sind wir bei der positiven Seite der Verantwortung, die leider in den meisten Fällen einfach übersehen wird. Wir haben nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht die Verantwortung zu übernehmen.

Es ist der Verantwortung egal, ob Sie sie übernehmen

Sie tragen sie sowieso. Es ist Ihrer Gesundheit egal, ob sie die Verantwortung für sie übernehmen oder nicht. Sie werden die Folgen spüren. So oder so. Es ist Ihren Finanzen völlig egal, ob Sie sich verantwortlich für sie fühlen oder nicht. Ob Sie arm oder reich zu sein, Geld haben oder stets über zu wenig Geld zu verfügen, Sie werden das Ihrem Verhalten entsprechende Ergebnis bekommen. Sie haben die Verantwortung, ob Sie sie annehmen oder nicht, ob Sie dabei Fehler machen oder nicht, ob sie ihr gerecht werden oder nicht. Die Lösung ist die Verantwortungsübernahme, denn Verantwortung übernehmen heißt immer selbst für die Antwort zu sorgen.

Sie können die Antwort – das Ergebnis, den Erfolg – selbst kreieren. Sie erschaffen also entweder das gewünschte Resultat, indem Sie die Verantwortung übernehmen und so lange tragen, bis sie ihr gerecht werden, oder Sie überlassen das Ergebnis dem Zufall, weil Sie die Verantwortung nicht übernehmen. Und obwohl damit ganz klar wird, dass die Verantwortung ein Geschenk für unser Leben, unsere Familie, unser Geschäft und unsere Gemeinschaft ist, nehmen wir sie trotzdem oftmals nicht wahr.

Warum übernehmen wir die Verantwortung trotzdem nicht?

Es sind im Wesentlichen vier Gründe, warum wir trotz allem die Verantwortung nicht übernehmen.

1. Die Bequemlichkeit

Ich wage zu behaupten, dass Bequemlichkeit in mehr als neunzig Prozent aller Fälle die wahre Ursache von nicht oder nicht ausreichend übernommener Verantwortung ist. Hier gibt es fließende Grenzen von einfacher Gedankenlosigkeit und Oberflächlichkeit, über die echte Überforderung bis hin zum übelsten, bewusst eingesetzten und puren Egoismus.

Die meisten Menschen sind allerdings einfach zu bequem, um sich darüber ausgiebig Gedanken zu machen. In unserer rasend schnellen und reizüberfluteten heutigen Welt ist Gedanken machen eine anspruchsvolle, zeitlich aufwendige Aufgabe geworden. Und so ist es natürlich viel leichter, sich von der Verantwortlichkeit zu distanzieren. Abzuschalten und sich bewusst allen Ablenkungen zu entziehen, erfordert mittlerweile Planung und Disziplin. Selbst wenn wir uns die Zeit nehmen und uns dem Denken verschreiben, müssen wir uns manchmal zwingen, am Ball zu bleiben. Denn es ist anstrengend, in die Tiefe zu gehen und sich nicht mit den ersten oberflächlichen Ergebnissen unserer Denkarbeit zufriedenzugeben. Speziell Gedanken zu Verantwortung und deren Auswirkungen ergeben verschiedenste Ergebnisse, die im nächsten Schritt wieder mehrere Varianten bieten und so schnell zu Dutzenden von Möglichkeiten in den verschiedensten Tiefen und Ebenen führen.

Die Bequemlichkeit, die sich in erster Instanz nach furchtbarer Faulheit anhört, ist also durchaus auch nachvollziehbar und menschlich. Nichtsdestotrotz dürfen wir uns darauf nicht ausruhen, denn im Ergebnis verbleiben die Verantwortung und damit die Folgen ihrer Übernahme oder Nicht-Übernahme immer bei uns. Wir bestimmen mit unserer Trägheit oder mit unserer Aktivität in Sachen Denken unser Glück und unseren Erfolg. Wir gestalten unser Leben oder überlassen es anderen und dem Zufall, wenn wir uns für die eine oder andere Seite entscheiden. Verantwortung – ja oder nein – sehr oft spielt bei dieser Entscheidung die Bequemlichkeit keine geringe Rolle.

2. Die Unkenntnis

Genauso wie Unwissenheit nicht vor Strafe schützen kann, so kann Unkenntnis nicht als Ausrede für Verantwortungslosigkeit dienen. Wir leben in einer Zeit, in der Wissen und Informationen so einfach, schnell und zumeist völlig kostenfrei zugänglich sind, wie es dies noch niemals zuvor gegeben hat. Die Möglichkeiten, sich zu informieren und sich mehr Wissen zu einem bestimmten Thema anzueignen, sind schier grenzenlos. Nehmen wir dieses Angebot nicht wahr, landen wir ebenfalls wieder bei der schon erwähnten Bequemlichkeit.

Anders verhält es sich mit unzureichend erhaltenen oder gar falsch übermittelten Informationen. Unser Leben ist viel zu komplex, als dass wir alle Informationen, die wir bekommen, überprüfen könnten. Insofern sind wir auf die verlässliche Zusammenarbeit mit anderen, mit einem Team, angewiesen. Daheim ist es der Partner oder die Familie, am Arbeitsplatz sind es die Kollegen, Vorgesetzten und Mitarbeiter. Auch in jedem anderen Bereich unseres Lebens sind wir auf ein Kollektiv, mehr oder weniger groß, angewiesen. Wenn wir falsche Informationen erhalten, können wir gar nicht die richtigen Entscheidungen treffen und auch unzureichende Informationen können zu wenig sinnvollen Schlussfolgerungen führen. Deshalb ist die Auswahl unserer Umgebung, die Qualität unseres Teams sowie die präzise Kommunikation mit diesem ebenfalls von entscheidender Bedeutung für die Exaktheit unserer Entscheidungen und damit den Erfolg unseres Lebens.

3. Die Dummheit

Ich gehe davon aus, dass nur die allerwenigsten Menschen über zu wenig Klugheit verfügen, um die wahren Zusammenhänge einer Situation zu verstehen. Die meisten Leute machen sich einfach nicht die Mühe, gewisse Prozesse weiter oder gar zu Ende zu denken. Das hat jedoch nichts mit Dummheit zu tun, sondern geht wieder in Richtung geistiger Bequemlichkeit. Insofern erlaube ich mir, auf diese kleine Randgruppe »dumm« nicht näher einzugehen, zumal wir auf sie ohnehin kaum Einflussmöglichkeiten haben. Wie wollen Sie Regularien für Dumme schaffen und umsetzen? Strenge Gesetze und strikte Vorgaben aller Art wären zwar eine Möglichkeit, doch keine Vorschrift dieser Welt wird echte Dummheit verhindern können – und somit wäre deren Einhaltung sowieso nicht gewährleistet.

4. Mit Recht

Das ist sicherlich einer der interessantesten Punkte, weil er generell noch viel zu wenig Beachtung und Akzeptanz findet. Manches Mal ist es eindeutig erforderlich, unsere Zuständigkeit für diese oder jene Verantwortung glasklar abzulehnen. Nicht selten können andere bestimmte Dinge einfach besser und so gebietet schon der Respekt vor den Experten ein gewisse Zurückhaltung. Wir müssen anerkennen, dass wir nicht alles können. Auch werden wir alle immer wieder mit einer gewissen Machtlosigkeit oder Handlungsohnmacht konfrontiert, die wir nur akzeptieren können. Die darauf folgende Ablehnung geschieht völlig zu Recht. In der heute vorhandenen Heerschar von Coaches aus allen möglichen Bereichen wollen uns zwar einige Glauben machen, dass wir alles beeinflussen können, doch ich halte dies nicht nur für Blödsinn, sondern zudem auch noch für brandgefährlich. Es führt nämlich dazu, dass Menschen aufgefordert werden, etwas zu ändern zu versuchen, was sie gar nicht in der Hand haben.

So werden sie mit jedem bereits vorprogrammierten Misserfolg dann scheinbar noch erfolgloser und frustrierter. In einer Zeit, in der jeder zehnte Deutsche nach eigenen Angaben unter Depressionen leidet, halte ich das für keine unbedenkliche Herangehensweise. Die ohnehin schon depressiven Menschen werden durch diese zwar gut gemeinten, doch wenig wirkungsvollen Ratschläge nur noch deprimierter, und wer einmal mit dieser Krankheit bei sich selbst oder in seinem nahen Umfeld zu tun hatte, weiß um deren Schwere. An dieser Stelle darf ich wieder einmal dringend an das generelle Verantwortungsbewusstsein appellieren: So manche Berater und Coaches sollten in diesem Zusammenhang ihrer Verantwortung intensiver gerecht werden und ihren Beruf gründlicher, umsichtiger und ernsthafter betreiben.

 

Verantwortung - Bernd Kiesewetter

Wann müssen wir Verantwortung ablehnen?

Wann geschieht dies völlig zu Recht? Nehmen wir einmal ein direktes Beispiel, um Interpretations-Missverständnisse zu vermeiden: Wenn Ihr Vater Sie dafür verantwortlich macht, dass er sein Leben nicht so frei und unabhängig führen konnte, wie er es sich nachträglich wünscht, dann müssen Sie die Verantwortung nicht nur ablehnen, sondern dann haben Sie schlichtweg absolut nichts damit zu tun! In diesen Entscheidungsprozess mit all seinen Folgen und Verantwortungen waren Sie ja nicht mit eingebunden. Oder, wenn die Bundesregierung eine nicht öffentlich ersichtliche Entscheidung trifft, dann sind Sie zwar mittelbar mitverantwortlich an der Regierungsbildung, doch erstens war bereits hier Ihre persönliche Verantwortung überschaubar und zweitens manch- mal auch nicht vorhersehbar. Sie sind nicht für jedes politische Dilemma verantwortlich!

Die Grauzonen der Verantwortung

Es gibt viele Bereiche, in denen diese Abgrenzung nicht ganz so einfach und eindeutig ist. Ihr Arbeitgeber fordert von Ihnen Dinge, die mit Ihren Aufgaben rein gar nichts zu tun haben? Sie bekommen eine Rüge für die Arbeit eines Kollegen? Ihr Partner gibt Ihnen die Schuld für seine Versäumnisse, zum Beispiel weil er seine Freundschaften nicht gepflegt hat, die Karriere versäumte oder seinen Körper vernachlässigte. Selbst bei der Erziehung der Kinder gibt es Grenzen. Natürlich werden Sie sich gerade in dieser Hinsicht vermutlich nie ganz freimachen können, doch Sie sind ganz sicher nicht für jede Handlung Ihrer Sprösslinge ein Leben lang verantwortlich. Es gibt Entwicklungen, da haben Sie alles in Ihrer Macht Stehende getan und müssen die Verantwortung irgendwann abgeben. Sie werden vermutlich trotzdem nie ganz damit aufhören, sich verantwortlich zu fühlen, doch Kinder werden erwachsen und müssen sich eines Tages selbst verantworten.

Wenn Mütter früher ihre noch kleinen Kinder zum kompletten Aufessen des Tellerinhalts aufforderten und den gerne verwendeten Hinweis auf hungernde Kinder in Afrika brachten, war dies sicherlich gut gemeint. Doch die Botschaft dahinter ist die eigene Verantwortlichkeit für die hungernden Kinder in Afrika, die ein Kind ganz sicher in dieser Phase seines Lebens weder hat noch irgendetwas damit anfangen kann. Leider ist ein Kind jedoch nicht in der Lage, die Verantwortung direkt abzulehnen, was hier vollkommen zu Recht gegeben wäre. So werden wir oft von Kindheit an indirekt von Eltern und anderen Bezugspersonen – von diesen durchaus gut gemeint – in ein zu überspitztes Verantwortungsdenken gedrängt, das uns später im Leben hinderlich sein kann.

Es ist nun einmal so: Wir können manchmal Verantwortung nicht übernehmen, denn wir haben im Leben auf einige Dinge wenig oder gar keinen Einfluss, und ich denke, wir können sogar sehr froh darüber sein.

Nehmen wir zum Beispiel den Tod. Ich vermute, dass wir es nicht ändern können, eines Tages ableben zu müssen. Ich gehe davon aus, dass noch viele Anstrengungen unternommen werden, das Leben zu verlängern, und die diesbezüglichen Entwicklungen sind rasant, doch die Tatsache, dass wir alle eines Tages sterben, bleibt gewiss. Vielleicht friert uns einer zu Lebzeiten ein und holt uns an anderer Stelle wieder heraus, aber auch dies wäre nur eine Zeitversetzung. Unsere Erde wäre sicherlich auch nicht besonders geeignet für die rasante Bevölkerungszunahme. Also würden wir uns vermutlich doch wieder selbst den Tod beibringen, weil hier schlichtweg kein Platz für alle wäre. Ich denke, es ist gar nicht so schlecht, dass wir nicht ewig leben und uns von unseren Nachfolgern auswechseln lassen.

Ebenso ist beispielsweise die Tatsache, dass der Mensch ohne Hilfsmittel nicht fliegen kann, nicht veränderbar. Auch wenn ich um die übertragene Bedeutung des Satzes »Alles ist möglich« wohl weiß und sicher ein Fan des Möglichkeitsdenkens bin, diesen Ausspruch kann ich nicht mehr hören. Er bereitet mir regelrecht Schmerzen. Es ist im Leben eben nicht alles möglich. Und wir tun gut daran, dies auch zu akzeptieren. Oder versuchen Sie doch mal, die Sonne im Westen aufgehen zu lassen. Auch die Schwerkraft ist eine feste Gegebenheit. Dinge fallen nun einmal nach unten. Da haben Sie wenig Einfluss. Das Gesetz von Ursache und Wirkung ist ein weiteres und wichtiges Beispiel. Es gibt also Gesetzmäßigkeiten, die sind einfach so, wie sie sind, und sie lassen sich auch nicht überlisten. Wenn ich keinen Einfluss darauf habe, kann ich folglich auch keine Verantwortung dafür übernehmen.

Das richtige Maß der Verantwortungsübernahme

Ebenso können wir niemals die Verantwortung für das Verhalten anderer Menschen auf unsere Schultern lagern. Hier ist die Bandbreite zwar groß, doch in einem sind wir uns ganz sicher einig: Unser Einwirken auf das Verhalten einer anderen Person ist begrenzt. Jeder Mensch ist nun einmal mit dem freien Willen ausgestattet und trifft seine eigenen Entscheidungen, wie viel Verantwortung er oder sie denn in einer bestimmten Situation zu übernehmen bereit ist oder welche Entscheidungen er überhaupt trifft. Das ist definitiv nicht unsere Baustelle. Auch dann nicht, wenn wir genau zu wissen meinen, dass eine bestimmte Entscheidung einer Person unseres Umfeldes falsch ist. Es geht uns schlichtweg nichts an.

Das führt uns weiter auch dazu, die Verhältnismäßigkeit innerhalb der Verantwortung zu hinterfragen. Welcher Aufwand in puncto Verantwortung ist nötig, um welche Ergebnisse zu erzielen? Wie immer im Leben spielt das richtige Maß eine wesentliche Rolle. Feststeht: Eine Überforderung betreffend die Übernahme von Verantwortung wird niemals zu einem guten Ergebnis führen. Wir sind es uns selber also unbedingt schuldig, gewisse Verantwortungen abzulehnen.

Wir können unmöglich für alles und schon gar nicht gleichzeitig die Verantwortung übernehmen. Wir würden verrückt werden, denn schon der Faktor Zeit begrenzt unsere re-ellen Einflussmöglichkeiten. Wir müssen also immer gewisse Bereiche der Verantwortung zurückweisen und uns auf die wichtigen und wesentlichen Dinge bei uns selbst konzentrieren. Hier das richtige Maß zu finden, ist ganz sicher ein lebenslanger und nie endender Prozess, für den ich Ihnen alles Gute wünsche!

Ihr

Bernd Kiesewetter