Klartext von Kiesewetter: Arbeitskräftemangel

Die Verantwortung der Woche

 

Liebe Arbeitgeber,

es ist keineswegs neu und doch kommt es für viele scheinbar überraschend: Es fehlen Ihnen Arbeitskräfte!

Bereits jetzt sind es 1,2 Millionen, zwei Drittel davon Fachkräfte. In 70 Berufen gibt es bereits Engpässe, Tendenz weiter steigend. Die geburtenstarken Jahrgänge sind seit 1965 rückläufig und die Babyboomer gehen nun in Rente – 2030 fehlen dann etwa 3 Millionen Vollzeitkräfte. Nicht nur IT’ler, sondern auch Lehrer, Ingenieure, Ärzte, Krankenpfleger und viele mehr – bereits jetzt fehlen sie an jeder Ecke. Es war längst zu erkennen, doch das Problem wurde von Ihnen genauso ignoriert wie der Klimawandel, die Rente oder der Wohnungsbau von den Regierenden.

Ich hätte Sie für besser gehalten. Weitsichtiger. Ich hätte von den echten Unternehmern von Ihnen mehr erwartet, Sie für verantwortungsvoller gehalten, insbesondere für Ihre Betriebe. Denn jetzt, wo die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen fehlen, geht es für viele von Ihnen ans Eingemachte. Die wenigen Bewerber können die Kondition bestimmen. Und die Bedingungen. Das ist nicht nur teuer für Sie, sondern wird dem dringend erforderlichen Weg zurück in die Leistungsgesellschaft nicht immer zuträglich sein.

Aber es hat auch seine guten Seiten: Wir brauchen eigentlich keine Arbeitslosen mehr zu haben. All die Panik um die, der fortschreitenden Technik folgenden Arbeitsplatzverluste, haben sich nicht bewahrheitet. Eigentlich, denn es geht wohl nicht ganz auf. Es besteht zwar ein riesiger Bedarf an über einer Million IT-Fachkräften, allerdings verlieren auf der anderen Seite 1,6 Millionen Menschen ihre Arbeit durch die Digitalisierung oder den voranschreitenden Klimawandel. Sicher, es hätte auch der politischen Unterstützung bedurft, aber die Ausrichtung dieses Wandels haben Sie zu verantworten.

Bereits in 2020 konnten Sie 60.000 Ausbildungsplätze nicht besetzen. Schon heute ist das Gesundheitssystem am Rande des Kollaps, deutlich sichtbar nun durch Corona – nicht, weil die Betten oder die Maschinen fehlen, sondern die Menschen. Es gibt nicht genug Ärzte und erst recht nicht genug Pfleger! Es werden ca. 20.000 Lehrer dringend gesucht, hier beruft man sich auf Zuwanderung und einen Babyboom. Ein gutes Beispiel für die Kurzsichtigkeit und fehlende Geschwindigkeit in unserem Land: Denn nach meiner Erinnerung kommt ein Baby erst nach etwa 6 Jahren in die Schule. Es gab also 6 Jahre Vorbereitungszeit!

Vielleicht ist es nicht immer so einfach, Sie als Arbeitgeber müssen oft erst über Ihre Verbände kommunizieren, um wirklich gehört zu werden, doch es liegt in Ihrer Verantwortung, diese Kurzsichtigkeit abzulegen.

Sie alle wissen: Dringliche Probleme erfordern schnelle Lösungen, die dann zu Lasten der Nachhaltigkeit gehen.

Wir brauchen aber nachhaltige Erfolge, um morgen nicht schon wieder mit dem Meistern neuer oder gar wieder der alten Herausforderungen beschäftigt zu sein. Wir brauchen nachhaltige Erfolge, um auch mittel- und langfristig bestehen zu können.

Also konzentrieren Sie sich bitte auf Ihre Aufgabe, heute und morgen ausreichend qualifiziertes Personal zur Verfügung zu haben!

Sie müssen sich um Ihr vorhandenes Personal besser kümmern, mehr auf Sie eingehen. Sie müssen fördern und fordern, sie zu Fans Ihres Unternehmens und Ihrer Kultur machen. Sie müssen einen gemeinsamen Sinn finden und nach gemeinsamen Werten handeln, damit Sie nicht an Oberflächlichkeit scheitern. Sie werden aber nicht umhinkommen, Ihren heutigen Arbeitskräften beste Bedingungen in jeder Hinsicht zu bieten.

Hoffen Sie bitte nicht, dass es damit auch morgen noch für Sie gut geht. Sorgen Sie lieber mit dafür, dass rechtzeitige Umqualifizierungen bei allen vorhandenen Menschen stattfinden – und geeignete Arbeitskräfte aus anderen Teilen der Welt zu Ihnen finden können. Bestehen Sie aber auch darauf, aus der Vergangenheit zu lernen. Es ist nicht mit der Arbeit und etwas Geld getan, wenn wir eine für alle Seiten zufriedenstellende Integration erreichen wollen. Es gilt vieles zu bedenken, wenn wir durch diese Zuwanderung nicht für morgen ein neues gesellschaftliches Problem schaffen wollen.

Fordern Sie die Politik und tragen auch Sie Ihren Teil dazu bei.

Machen Sie sich Gedanken, unterbreiten Sie konkrete Vorschläge und planen Sie entsprechende Maßnahmen.

Übernehmen Sie die Verantwortung, damit Ihr Unternehmen erfolgreich bleiben und Deutschland wieder erfolgreich werden kann.