Die Keynote Speaker in Sachen Motivation lassen keine Gelegenheit aus, es uns zu versichern: Alles ist möglich! Doch auch wenn ich selbst ein Fan von Motivation sowie tollen Unternehmerpersönlichkeiten und ihren Geschichten bin, sollte die Frage erlaubt sein: Ist es wirklich so und wie verhält es sich mit den glänzenden Unternehmerstorys?
Stets mit Coca Cola, Mc Donalds, Microsoft in einem Atemzug genannt, wurden z.B. Apple, Amazon und Tesla die neuen Beispiele der Art von Keynotespeakern, die als Gurus der Motivation den Menschen von großen Bühnen offenbaren, alles sei möglich und sie könnten alles erreichen – wenn sie es denn nur wirklich wollen würden.
Motivation in Form von Keynotes und Vorträgen sind heute eine gängige und beliebte Form der Unterhaltung auf jedem größeren Firmenevent, insbesondere für die Vertriebsmannschaft, selbständige und scheinselbständige Vertriebspartner, da sie neben der reinen Unterhaltung eben auch noch die Stimmung und Arbeitsfreude der Beteiligten steigern kann. Selbstverständlich gibt es viele gute Keynotespeaker, aber es gilt heute eben auch mal an die Verantwortung, der sich gern selbst beweihräuchernden Gilde, zu appellieren. Denn unter dem Strich ist alles, was sich in der Realität nicht wirklich umsetzen lässt, auf lange Sicht doch eher Demotivation. Und so sollten sich die Vortragsredner dieses Landes durchaus ihrer Verantwortung einmal mehr bewusst werden.
Lassen Sie uns mal genauer ansehen, wie das so ist, mit den Unternehmerstorys und diesem „Alles ist möglich“. Es hakt meines Erachtens vor allem an zwei Punkten:
- Wir müssen nicht alles erreichen – wofür auch? Zählt ein Erfolg nur noch, wenn eine Idee und dessen strebsame Umsetzung zum „Milliarden-Dollar-Konzern“ wird? Ist alles andere nichts wert und nicht gut genug? Oder ist es gar ein Misserfolg?
- Es kann nicht jeder alles erreichen. Punkt. Es gehört weit mehr als hartes Arbeit dazu, eine Unternehmergeschichte dieser Größenordnung zu schreiben, vor allem aber auch das Quäntchen Glück. Wieviele dieser Erfolgsgeschichten sind gleichzeitig möglich? Wieviele besondere Gestalten wird es also gleichzeitig geben und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie ein solches Unternehmen aufbauen werden? Sind diese außergewöhnlichen Storys wirklich reproduzierbar und sind sie überhaupt erstrebenswert?
Es kann und muss nicht jeder alles erreichen! Und wir sollten uns davor hüten diese Anspruchshaltung einzunehmen, denn sie schafft für 99,99% aller Fälle Frust – und nur für einen ganz geringen Teil, genau genommen nur ganz wenige Menschen auf diesem Planeten, Lust. Ein Lottogewinn mit Zusatzzahl scheint um ein vielfaches realistischer. Und sollten sie dann doch dieses Ausnahmebeispiel werden, herzlichen Glückwunsch! Es werden sich noch genug Probleme für Sie ergeben, die Ihnen mehr Frust als Lust bescheren.
Wir brauchen das amerikanische Vorbild der Super-Motivation zum Ausgleich der bettelnden Armut in unserem Lande nicht, denn wir haben ein sehr gut ausgebautes soziales Netz. In Amerika ist es schlichtweg ein Muss, um der Bevölkerung das Gefühl zu vermitteln, jeder könnte ein Traumleben führen, wenn er denn nur hart genug dafür arbeiten würde. Das dies mitnichten so ist, dürfte die Statistik oder auch nur ein Blick auf die Straßen zeigen. Wir müssen den Menschen nicht „im Himmel ist Jahrmarkt“ erzählen, um sie bei Laune zu halten. Wir können in diesem Land durchaus auch ein gutes Leben führen, wenn wir kein Supersupersuperstar sind.
Wir müssen also nicht alles kopieren. Weil gar nicht alles zu uns passt, nicht passen muss und andererseits auch überhaupt keine Notwendigkeit besteht.
Es liegt vielmehr in unserer Verantwortung, unsere großartigen Errungenschaften wertzuschätzen, dankbar anzunehmen und aufrecht zu halten. Und es liegt eben auch in der Verantwortung von Keynote-Speakern, den Menschen dies auch ganz offen mit auf den Weg zu geben.
Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen Ihr
Bernd Kiesewetter