Es ist eine merkwürdige Situation. Ein Virus übernahm vor einigen Wochen die Weltherrschaft und brachte uns zum Nachdenken und Überdenken unserer Lebensweisen, Verhaltensweisen und Denkweisen. Von heute auf morgen war alles anders und wir erkannten schnell, dass wir nur gemeinsam lebendig aus der Situation herauskommen. Keinerlei Wissen über das Virus und einige wenige Informationen aus dem Ausland zwangen nicht nur die Regierung, sondern auch jeden einzelnen Bürger zum Handeln. Eine Art Aufbruchstimmung ging durch das Land, Menschen schlossen sich für Hilfsaktionen für andere zusammen und die dringend benötigten professionellen Helfer wurden hochgelobt und damit die Rolle von ganzen Berufsgruppen wie Krankenschwestern, Ärzten, Pflegekräften und Supermarktmitarbeitern neu definiert. Ohne Frage war der Einsatz für andere, zu schützende und vielleicht hilfsbedürftige Menschen.

Doch nun sieht es ganz anders aus. Das Ego hat unsere Gesellschaft wieder gepackt. Statt gemeinsamem Streben spaltet sich die Nation in drei Lager:

Diejenigen, die die Wirtschaft und das Kapital als schützenswerter empfinden als Menschenleben. Sie unternehmen jede Anstrengung, um uns zu erklären, dass wir auf Minderheiten keine Rücksicht mehr nehmen dürfen, weil sonst unser schöner Reichtum dahin wäre. Rechtfertigen tun sie dies meist im Einklang mit der Behauptung, der wirtschaftliche Schaden würde mehr Menschenleben kosten als das Virus und häufig sei erwähnt, dass die Grippe ohnehin schlimmer wäre. Teils die Bilder aus dem Ausland verdrängend und leugnend, erfolgt der Verweis auf die guten Zahlen in Deutschland, die unveränderten Todesfallstatistiken und die leeren Krankenhäuser. Genauso beliebt ist die Schürung der Angst vor der Abschaffung der Demokratie und der Hinweis auf die Dramatik in den Familien. Eltern können natürlich unmöglich so viel Zeit mit ihren eigenen Kindern in einer Wohnung verbringen, ohne familiäre Gewalt im schlimmsten Maße zu erschaffen. Und wenn all das nicht reicht, so wird gern der Finger nach Schweden gestreckt und auf die Mündigkeit der Bürger verwiesen und die nicht vergleichbaren Grundlagen mit einseitiger Betrachtung als Vergleich herangezogen. Obendrauf wird jeder andersdenkende gern als der dumme deutsche Michel, der gehorsame und verblendete Bürger beschimpft.

Waren es anfangs noch eine wenige quere Geister, so finden wir sie nun überall: Unter den Journalisten genauso wie in den Chefetagen der Wirtschaft, deren Verbänden und natürlich auch in der vordersten Reihen der Politik.

Demgegenüber stehen diejenigen, die sich ängstigen, vor dem erneuten und vielleicht nicht so „einfach“ zu bewältigenden Ausbruchs des Virus. Sie sorgen sich vor der Gesundheit ihrer Liebsten und dem Leben anderer Menschen, manchmal auch ihres eigenen. Auch sie haben wirtschaftliche Sorgen, sehen jedoch das Leben im Vordergrund.

Und die dritte Gruppe ist mittlerweile völlig überfordert und übersättigt. Sie können mit all den Informationen nicht mehr umgehen, suchen nach Sicherheit und schalten ab.

Die Spaltung tut uns nicht gut, in diesen Tagen. Scheinbar nur wenige sind dankbar für das (bisherige) Ausbleiben größerer Katastrophen in unserem Land und die offensichtlich gute Arbeit der Regierung.

Ich will kein Loblied auf die Politik anstimmen, doch zweifellos wurde vieles richtig gemacht. Wir sehen es im Vergleich zu anderen Ländern. Selbstverständlich ist nicht alles optimal, aber wer kann das schon in Krisensituationen von sich und seinem eigenen Verhalten behaupten?! Und natürlich müssen wir achtsam sein, dass uns nicht wesentliche Grundrechte abhanden kommen und z.B. der Datenschutz plötzlich zum einseitigen Nutzen des Staates verschwindet.

Aber wir sollten auch anerkennen, dass in den 2 Monaten kurzerhand Staatshilfen für fast alle Bevölkerungsgruppen gegeben wurden und das Überleben bis zum heutigen Tage gesichert war, ganz im Gegensatz zu fast allen anderen Staaten. Wir sollten anerkennen, dass konsequent gehandelt wurde und die guten Ergebnisse die Folge einer vorsichtigen Haltung sind. Anstatt sich also über angeblich übertriebene Maßnahmen zu ärgern, empfehle ich uns allen den Einzug von ein wenig Demut und Dankbarkeit.

Insgesamt sollten wir uns wohl lieber mehr darauf konzentrieren, gemeinsam das Virus weiter einzudämmen und möglicherweise auszutrocknen, um dann bereinigt und vielleicht sogar mental gestärkt die Wirtschaft wieder in Gang zu bekommen, anstatt es andersherum zu versuchen. Zu groß ist die Gefahr einer erneuten Welle, die auch jegliche wirtschaftliche Bestrebungen wieder mehr als zunichte machen würde. Und abgesehen von der Tatsache, dass unser weltweites Finanzsystem schon lange mehr als angeschlagen scheint, sollten wir uns zu guter Letzt vor Augen führen, dass Geld nur ein von uns Menschen geschaffenes Instrument darstellt, dessen Werte und Regeln wir jederzeit verändern können.

Wir sollten miteinander agieren und nicht gegeneinander. Wir müssen nicht einer Meinung sein, aber wir sollten gemeinsame Werte und Ziele anstreben und gemeinsam die Verantwortungen tragen, die sich aus dieser für uns alle ungewollten Situation ergeben.