Hochgeschwindigkeit ist ja sonst nicht so unsere Sache in Deutschland, wenn man an die Züge der Deutschen Bahn oder auch das Internet denkt. Aber diesmal sind wir ganz weit vorn mit dabei: Wir rasen geradewegs … in die Abhängigkeit!

Gab es noch bis kurzem eine gewisse Zurückhaltung zur Onlinebestellung generell und im Speziellen zur Handelsplattform des Marktriesen, so scheint spätestens mit Corona der neue liebste Freund gefunden: Amazon.

Amazon und mich, als Experten zum Thema Verantwortung, in einen Satz zu packen, ist schon gewagt. Bereits hunderte Male waren sie in der Kritik zur Verantwortungslosigkeit, wie Dumpinglöhnen und untragbaren Arbeitsbedingungen, Abwälzen der Risiken auf scheinselbständige Subunternehmer und Steuerumgehung durch Firmenkonstrukte internationaler Art am Rande der Wirtschaftskriminalität. Und dies alles mit milliardenschwerer Unterstützung in Form von Subventionen und Fördergeldern der Bundesrepublik Deutschland. Da fehlte bisher ganz offensichtlich auch die Verantwortung der Führungskräfte des Landes und der Führungsverantwortung wird künftig eine sehr große Rolle zukommen, wenn wir überleben wollen.

Doch das alles scheint nun vergessen, denn sie bringen ja so schön, schnell und günstig die Dinge zu uns nach Hause. Mittlerweile alle Dinge! Es geht längst nicht mehr um Bücher, Videos und CD’s, was einst der Beginn der Internethändlers war, sondern wirklich um alles. Und genau das ist auch das Problem. Wir sind geradewegs dabei in eine riesige Abhängigkeit zu geraten und werden schließlich nur noch in der Opferrolle sein, wenn wir nichts unternehmen. Wir werden nichts mehr bestimmen können. Das übersehen wir derzeit offenbar völlig.

1993 noch als amerikanische Idee gesponnen, 1998 als Millionenunternehmen nach Deutschland gekommen, mauserte sich der Unternehmensriese Amazon nicht nur zum Milliardenunternehmen, sondern mittlerweile zum vielseitigsten und marktbeherrschenden Warenhändler der Welt. Eine gigantische Unternehmerstory, die seitdem immer und immer wieder vorgetragen wird, von nahezu jedem, der zum Thema Erfolg etwas zu sagen haben meint. Das ist eine tolle Sache und soll hier überhaupt nicht in Abrede gestellt werden. Ich bin selbst ein Fan guter Unternehmergeschichten und sie ist zweifellos eine der ganz besonderen Art. Aber sie bringt uns in eine missliche Lage. Um der Situation Herr zu werden (von bleiben kann schon gar keine Rede mehr sein), müssen wir in unsere freie Marktwirtschaft eingreifen. Das ist in der Tat weder wirklich gewollt noch ganz einfach, schließlich erfreuen wir uns nicht umsonst an den Vorteilen dieser Regelungen. Und doch gab es auch schon immer das Verbot des Monopols, damit nicht einige wenige alles bestimmen können. Und genau das wäre hier in einer modernen Art gefragt.

Für einige mag es wirklich neu sein, andere wissen es längst oder haben es sogar schon selbst erlebt. Amazon verdrängt den Wettbewerb massiv. Der kleinere Einzelhandel, vom Blumen- oder Buchhandel über den Elektrogeräteanbieter oder Eisenwarenhändler bis zur Videothek oder dem Zooartikelhandel, hat längst Federn gelassen oder gar seine Geschäfte geschlossen. Der weitaus größere Teil befindet sich auf dem Weg dorthin. Das gleiche wird auch mit dem Großhandel passieren. Es ist im Grund immer das gleiche Prinzip. Durch günstigere Kostenstrukturen und Knebelverträge verdrängen Preise und Service den Wettbewerb solange, bis dieser entweder übernommen werden kann oder sich nicht mehr zu übernehmen lohnt. Manchmal werden sie bewusst unter die Kostenseite getrieben, damit der Wettbewerb aufgeben muss und der Stärkere hat gewonnen. Die Preise können wieder angehoben werden, denn der Markt wird nun bestimmt. Wenn wir Glück haben erfolgt die Anhebung auf ein normales Niveau, andererseits könnte der Preis ins bodenlose getrieben werden.

Als Beispiel dient hier auch der einfache Händler oder Seller bei Amazon. Sie werden hofiert und motiviert ihr Geschäft hier zu betreiben und solange tatkräftig unterstützt, bis sich herausstellt, dass sich dieses Geschäft wirklich lohnt. Dann wird eines Tages der Händler einfach gesperrt. Der Händler ist in der Regel völlig verblüfft, hat er sich doch überhaupt nichts zuschulden kommen lassen und doch mit und für Amazon seine Einnahmen gestaltet. Doch er kann sich genauso wenig wehren wie bei Facebook, wo er als guter Anzeigenkunde nicht einmal eine Telefonnummer wählen kann, um mit jemanden zu sprechen. Diese Sperrung wird zeitgleich mit den stärksten Händlern dieses einen Segmentes vorgenommen und der Markt ist plötzlich völlig offen für das fehlende Angebot. Ganz zufällig betreibt Amazon nun ausgerechnet diesen Geschäftsbereich alleine – ganz ohne den (Zwischen)Händler.

So übernimmt der Internetriese einen Handelsplatz nach dem anderen. Nicht nur unser alter Offline-Händler ist arbeitslos, sondern nun auch der Online-Händler. Verbleiben tun die Verpacker und Fahrer, die den Logistikcentern des Giganten dienen und NOCH nicht durch die Technik ersetzt werden können.

Ganz am Rande wird ein weiteres Segment aufgerollt, nämlich die Datensammlung. Ein nicht zu unterschätzender Bereich, wie wir durch die Kaufempfehlungen „andere Käufer interessierten sich auch für..“ längst wissen. Auch Unternehmen wie Google und Tesla verdienen ihr Geld mit Daten und der gläserne Kunde wird zusehends manipuliert, immer besser steuerbar und von Tag zu Tag abhängiger. Aber es scheint uns nicht bewusst oder es ist uns egal, denn wir treiben mit Alexa und Co. die Datensammlungen freudig und freiwillig selbst weiter voran.

Wir sind auf dem besten Weg in die totale Abhängigkeit. Wir machen uns von einem Unternehmen abhängig, dessen Gewinne nicht einmal in unserem Lande versteuert werden. Als Verantwortungsexperte sehe ich es als meine Pflicht, nicht nur die Regierung, sondern uns alle aufzurufen, endlich unsere Verantwortung zu erkennen, die Verantwortung zu übernehmen und sie auch im täglichen Leben zu tragen. Wir müssen Lösungen schaffen die freie Marktwirtschaft zu erhalten, aber eben auch für uns alle zu erhalten. Denn wenn wir auch in Zukunft Erfolge für alle Menschen möglich machen wollen und dies nicht nur einen kleinen Minderheit im Ausland überlassen wollen, dann sollten wir auch beginnen Lösungen zu erarbeiten und zu schaffen.

#MissionVerantwortung

Ihr Bernd Kiesewetter